Zwischen Nachahmung und Erfindung

Von Rudolf Hausner

Sprecherin: Christiane B. Horn

Obwohl in unserer Zeit das Schlagwort „Kunst kommt nicht von Können“ viel Beachtung und auch Einverständnis gefunden hat – vielleicht auch wegen seiner kessen Formulierung – möchte ich doch dafür eintreten, dass man einen jungen Künstler, der offensichtlich über ein bedeutendes Können verfügt, nicht gerade deswegen gleich von vornherein verurteilt. Dem Maler Michael Engelhardt ist eine ganz ungewöhnliche Begabung zuteil geworden, die ihn befähigt, jede vor seinem geistigen Horizont auftauchende Vision vollendet darzustellen.

Ich habe in den 20 Jahren meiner Lehrtätigkeit an zwei Hochschulen mehrere hundert Künstler unterschiedlichster geistiger und manueller Begabung kennen gelernt. Unter all den vielen Namen geht von der Person des Michael Engelhardt ein besonderer Glanz aus: von der handfesten Materialbeschreibung einer Gruppe von Objekten, die sich zu einem „Stillleben“ malerisch zusammenfinden bis zur frei erfundenen, mythologisch-symbolischen Szenerie ist sein im wahrsten Sinne des Wortes „magischer Realismus“ von bestechender Überzeugungskraft. Die geöffnete, hölzerne Lade mit ihren vom Zufall arrangierten Utensilien ist genauso wirklich wie die erfundenen Landschaften von einem anderen Stern, so als wären ihm zwischen Nachahmung und Erfindung keine Grenzen gesetzt.

Es ist Sache der geistigen Leidenschaft, bei der künstlerischen Aufarbeitung seiner Existenz auch jener Vorstellung zu begegnen, die für eine ganze Epoche charakteristisch ist. Ich wünsche dem Michael Engelhardt, dass er bei der Darstellung seiner Wahrheit diesem großen Stoff begegnet.

Mödling, 11. August 1988

(Aus: Michael Engelhardt, Ölbilder und Zeichnungen, 1988
Rudolf Hausner war Mitbegründer der Wiener Schule des Phantastischen Realismus)

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